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«Der Bursche hatte was drauf»

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Gestern hat sich François «FM» Mürner (64) vom Schweizer Radio verabschiedet, heute blickt er für die MEDIENWOCHE auf seine Zeit als Radiomann seit den 1960er-Jahren zurück: Von den Anfängen am heimischen Mittelwellengerät, über die Lehr- und Wanderjahre in London, die Zeit als Kultmoderator von «Sounds!» und «Vitamin 3» auf DRS 3 bis zu den späteren Jahren als Jugendradio-Chef, Moderationscoach und schliesslich auch noch Konvergenz-Manager.

An einen entspannten Rückblick auf fünf Jahrzehnte Radiogeschichte ist nicht zu denken. François «FM» Mürner befindet sich auch zwei Tage vor seiner Pensionierung im Sendemodus. Ich spreche, du hörst zu. Das ist Radio. Und FM ist Radio. Fahren wir noch einmal den Regler hoch:

«Irgendwann musst du immer loslassen. Wenn du immer das Gleiche machst, hast du nie die Chance, etwas Neues anzufangen. Natürlich ist der Abschied nicht emotionslos, aber es sind positive Gefühle, mit denen ich das Radio verlasse. Ich habe ihn ja auch hinausgezögert. Normalerweise hören Kader mit 62 auf. Ich gehe nun mit über 64 in Rente, weil ich in den letzten zwei Jahren noch mithalf, den Übergang von Radio DRS zu SRF zu bewältigen. Das Konvergenzprojekt ist eine mutige Geschichte. Bei so vielen Kanälen muss ein grosses Medienunternehmen mit einer starken Marke auftreten. Ich habe in den letzten Jahren für die Radios eine klare Moderationsstrategie entwickelt und bei deren Umsetzung konsequent durchgegriffen. Den Unterschied zu vorher höre man gut, sagen mir viele.»

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«Ich wollte schon immer Radio machen. Es war nicht nur ein Bubentraum, sondern vielmehr eine Buben-Passion [spricht es englisch aus]. Anders als die meisten Jungs, die später beim Radio landeten, habe ich aber nicht die Musik aufgenommen, sondern die Moderatoren. Als ich am Radioapparat rumdrehte, merkte ich: Hier geht die Post ab. Neue Musik, mit einer punkigen Edge, das waren die 60er. Da kam ein Lebensgefühl rüber, das es sonst nirgends gab, sicher nicht am Fernsehen. In Basel konnte ich englisches Piratenradio empfangen. Ich hörte Radio Caroline, aber auch Sender, wie Europe 1 oder das französische RTL. Was für ein Gegensatz: das langweilige Radio in der Schweiz und Deutschland und dann diese Vögel auf dem Piratenschiff, wo ein Papagei im Studio war, der bei den Nachrichten dazwischenquatschte. Von da an wusste ich, das will ich auch machen!»

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«Ich ging 1973 nach London, weil ich wissen wollte, wie die BBC Radio macht. Zuerst arbeitete ich in der Marketingabteilung eines internationalen Transportunternehmens. Gleichzeitig nahm ich Schauspielunterricht, um die Sprache zu lernen. Eines Tages habe ich dann beim Schweizer Radio angerufen: ‹Ich bin in London und komme in Sachen Musik irre draus und kann Zeugs liefern, das ihr sonst nicht habt.› Die Antwort vom damaligen Unterhaltungschef lautete: ‹Uns interessieren die Platten erst, wenn sie in der Schweiz erhältlich sind.› Was für ein Idiot! [lacht laut] Zum Durchbruch verhalf mir schliesslich Christoph Schwegler, der als neuer Unterhaltungschef im Studio Basel angefangen hatte. Schwegi zahlte mir 150 Franken für einen stündigen Pilot. Die Sendung kostete natürlich viel mehr als die 150 Franken. Ich musste ein Studio mieten, das viel teurer war. Mein Pilot fiel aus dem Rahmen. Ich probierte neue Formen aus, plauderte mit mir selber oder habe Stimmen übereinandergelegt und brachte Musik, die sie in der Schweiz noch nicht kannten. Das war die Geburtsstunde von ‹Musik aus London›. Anfänglich gab mir Radio DRS drei Sendungen in Auftrag. Die Reaktionen der Zuhörer waren überwältigend. Intern fanden sie die Qualität zwar nicht so gut, schliesslich kam meine Produktion etwas piratenmässig daher, weil ich die Technik noch nicht ganz im Griff hatte. Aber wenn ich heute das alte Zeugs höre, muss ich schon sagen: ‹Der Bursche hatte was drauf, das die anderen nicht hatten.›»

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«Nach meiner Zeit in London fühlte ich mich Radio DRS verpflichtet. Sie gaben mir eine eigene Sendung. Beim Start der Privatradios 1983 erhielt ich zwar auch Angebote. Ich hätte doppelt so viel verdienen können und sie versprachen mir ein Auto und Anteile am Unternehmen. Aber ich fand damals, es wäre erstens unanständig und zweites dumm. Mein Bauch sagte mir, die SRG ist ein bisschen wie die BBC. Den Privaten sagte ich dann ab, weil ich wusste, dass ich bei der SRG viel besser umsetzen kann, was mich interessiert. So hatte ich als erster Schweizer Radiomoderator mit einem DJ-Pult im Studio gearbeitet – noch bevor das Roger Schawinski bei Radio 24 eingeführt hatte. Ich erhielt die Möglichkeit, Konzertübertragungen zu organisieren mit grossen Namen wie Iggy Pop, Depeche Mode, Lords of the New Church und wie sie alle hiessen. Auch nach BBC-Vorbild führte ich die ‹Sounds›-Sessions ein. Junge Bands konnten mit einem professionellen Tontechniker drei Songs einspielen.»

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«Mir ging es beim Radiomachen immer um zwei Sachen: Um Relevanz und um Varianz. Die Leute sollen nie das Gefühl haben, sie hören Schulfunk und man wolle sie belehren. Und es gibt nichts Schlimmeres als Radio, bei dem man genau weiss, was nun kommt und die Moderatoren immer gleich lustig tönen. Der Chef eines Privatradios hat mir einmal gesagt: ‹Ich mache alles, was mir meine Berater sagen, denn ich will Erfolg.› Ich habe ihm geantwortet: ‹Ich mache das, wovon ich überzeugt bin, dass es richtig ist für das Schweizer Publikum.› Klar, der Hörer ist immer die Nummer 1, nicht der Sender. Was betrifft die Hörer emotional, was ist wichtig für sie? Sie sollen aber nicht nur kriegen, was sie hören wollen, sondern auch, was sie hören sollen. Das musst du so vermitteln, dass die Leute wissen, wieso du am Morgen um zwanzig vor sieben ein schweres Themen bringst.»

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«Als ich mit 50 die Leitung des Jugendradios ‹Virus› übernahm, spielte mein Alter überhaupt keine Rolle. Zumindest intern nicht. Gegen aussen kam ich mir manchmal vor, wie ein älterer Mann mit einer jungen Freundin: Alle tuscheln hinter deinem Rücken. Aber hey, I don’t care, I enjoy the ride! Mein Alter spielte deshalb keine Rolle, weil ich der Manager war, der ein Ziel erreichen wollte – das ich auch erreicht habe. Im Rückblick darf ich schon sagen: Ich hatte ein sicheres Händchen dafür, ein verdammt gutes Team zusammenzustellen. Mit wenigen Ausnahmen sind heute alle, die bei Virus angefangen haben, in Top-Positionen bei Radio und Fernsehen. Ein Jugendprogramm als Werkstatt und Talentschuppen für den Radionachwuchs stand schon lange auf meiner Wunschliste; ein Sender, der einlösen kann, wozu DRS 3 nicht mehr imstande war. Virus war eine Reaktion auf die Fragmentierung des Medienangebots. Wenn man bei der SRG mit solchen Ideen kommt, heisst es zuerst immer: Wir haben kein Geld. Als wir schliesslich die Konzession erhielten und ich gefragt wurde, ob ich die Programmleitung übernehmen wolle, war das für mich wie Weihnachten, Geburtstag und Ostern gleichzeitig.»

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«Virus war für mich auch der Abschied vom Mikrofon. Natürlich hätte ich irre gerne noch zwei, drei Jahre angehängt. Aber ich hatte das Glück, etwas Neues anzufangen. Mein Wechsel von DRS 3 zu Virus hatte aber nichts mit der damaligen Polemik gegen das seichte DRS-3-Programm zu tun. Ich konnte zum Glück immer frei entscheiden, wann ich was mache. In Basel war ich weit weg vom Schuss. Basel war friedliche Provinz, während man in Zürich ellbögelte. Das ging uns so etwas von am Allerwertesten vorbei, ich kann es nicht anders sagen. Ich hatte das Glück, am Mikrofon aufzuhören, als ich sehr erfolgreich war.»

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«Meine persönliche Marke – ‹FM: Die Initialen stehen auf jedem besseren Radio› – hat so schnell nicht ausgedient, auch wenn es mit DAB-Digitalradio nun vorwärtsgeht. Mit allen guten DAB-Geräten kannst du auch UKW, also FM, empfangen. Die Einführung von UKW hat 40 Jahre gedauert. Ich bin sicher, dass es mit DAB etwas schneller geht. Für die Masse der Radiohörer ist aber immer noch nicht ersichtlich, was genau der Mehrerwert von Digitalradio ist. Wir Profis kennen ihn: Mehr Frequenzen, bessere Qualität. Aber bisher sind die Leute mit dem alten Angebot zufrieden. Deshalb mache ich mir auch keine Sorgen um mein persönliches Branding.»

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